1. Einleitung
Das Einlagengeschäft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Kreditwesengesetz (KWG) ist im Kern als Instrument des Verbraucherschutzes gedacht. Ursprünglich sollte die Erlaubnispflicht verhindern, dass Gelder von Privatanlegern in risikobehaftete Anlageformen ohne ausreichende Absicherung investiert werden. Doch in der Praxis wird das Konzept zunehmend auf völlig branchenfremde Unternehmen wie Handwerksbetriebe oder kleinere Handelsunternehmen angewendet. Diese streng formalen Vorgaben wirken in vielen Fällen geschäftsschädigend und stehen im krassen Widerspruch zum tatsächlichen Schutzbedürfnis der betroffenen Anleger.
2. Definition des Einlagengeschäfts: Eine zu weit gefasste Regelung
Das Einlagengeschäft umfasst alle Geschäfte, bei denen fremde Gelder als Einlagen oder unbedingt rückzahlbare Gelder des Publikums angenommen werden. Nach dem KWG benötigt jedes Unternehmen, das mehr als 25 Einzeleinlagen oder eine Einlagensumme von mehr als 12.500 Euro verwaltet, eine BaFin-Erlaubnis. Diese Schwellenwerte sind für große Finanzinstitute kaum ein Problem, wirken aber auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) erdrückend und praxisfremd. Es ist kaum nachvollziehbar, warum bereits eine kleine Zahl an Gesellschafterdarlehen oder Rückzahlungsvereinbarungen das gesamte Unternehmen in den Anwendungsbereich des KWG fallen lassen sollte.
3. Fallstudien: Unverhältnismäßige Regulierungsfälle
Die BaFin greift mit ihren Anforderungen zunehmend in wirtschaftliche Aktivitäten ein, die keinerlei Bezug zu typischen Finanzdienstleistungen haben. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die sogenannte „Winzergeld“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH VI ZR 56/12). Hier wurden Gelder von Winzern in einer GmbH & Co. KG gesammelt, um gemeinsame Investitionen zu finanzieren. Obwohl es sich dabei um eine rein branchenspezifische Finanzierung handelte, beurteilte die BaFin dies als erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft. Die Geschäftsführer der Komplementärin wurden persönlich haftbar gemacht, was für viele kleine Gesellschaften das wirtschaftliche Aus bedeutet hätte.
Auch im Fall der Global Financial Invest AG (GFI) wurden Forderungen aus Lebensversicherungen angekauft und Rückzahlungen mit garantierter Rendite versprochen. Hier werteten die Gerichte die Annahme dieser Gelder als Einlagengeschäft. Das Unternehmen wurde in die Insolvenz gedrängt, obwohl die betroffenen Anleger mit den Vertragsbedingungen vollumfänglich einverstanden waren und sich der „Verbraucherschutz“ eher als Verhinderung einer Rendite herausstellte. Die Rolle der BaFin in diesen Fällen erscheint übermäßig technokratisch und hat wenig mit tatsächlichem Schutzbedürfnis zu tun.
4. Kritik an der BaFin-Regulierung: Weltfremd und praxisfern
Die strikte Anwendung der Erlaubnispflicht durch die BaFin und die mangelnde Flexibilität in der Auslegung des KWG führen zu einer Überregulierung, die für viele Unternehmen existenzgefährdend sein kann. Die BaFin ignoriert in ihrer Verwaltungspraxis oft die wirtschaftliche Realität von kleineren Betrieben und Handelsunternehmen, die nicht die Expertise oder Ressourcen besitzen, um sich auf ein komplexes Banklizenzverfahren einzulassen.
- Unverhältnismäßigkeit der Schwellenwerte: Die BaFin wendet für alle Unternehmen dieselben Regelungen an, unabhängig von ihrer Größe oder ihrem Risikoprofil. Dasselbe Set von Vorschriften für große Banken und kleine Handwerksbetriebe anzuwenden, ignoriert grundlegende Unterschiede im Geschäftsmodell und Finanzierungszweck.
- Widersprüchliche Signale an Unternehmer: Besonders problematisch ist, dass die BaFin in vielen Fällen mündlich signalisierte, nur in „Missbrauchsfällen“ aktiv einzugreifen, jedoch im Ernstfall die strikte Einhaltung der Regeln verlangt. Dies schafft Unsicherheit und führt zu einem rechtlichen Minenfeld, in dem bereits die Annahme weniger tausend Euro an Darlehen für KMUs eine BaFin-Erlaubnis nach sich ziehen kann.
- Gefährdung von Unternehmensfinanzierungen: In vielen Konstellationen dient die Annahme von Gesellschafterdarlehen oder die Gewährung von Rückzahlungsgarantien nicht dem Zweck eines Bankgeschäfts, sondern ist Teil einer stabilen Unternehmensfinanzierung. Die BaFin untergräbt diese bewährten Finanzierungsformen durch die einseitige Fokussierung auf eine formale Rückzahlungsverpflichtung, unabhängig von der tatsächlichen Risikosituation.
5. Verbraucherschutz als Feigenblatt: Welche Anleger werden wirklich geschützt?
Die BaFin rechtfertigt ihre restriktive Praxis häufig mit dem Argument des Verbraucherschutzes. Doch gerade in Fällen wie dem Winzergeld-Urteil oder dem Fall Emanuel Miftar zeigt sich, dass diese Argumentation kaum trägt. Viele betroffene Anleger waren keine typischen Kleinanleger, sondern informierte Investoren, die bewusst in das jeweilige Modell eingewilligt haben. Der „Schutz“ durch die BaFin führt hier eher zu einem Wertverlust für die Anleger als zu einem tatsächlichen Schutz vor Missbrauch.
Ein weiteres Beispiel ist die Regelung zur Rückabwicklung bei unerlaubtem Einlagengeschäft. In einem Fall ordnete die BaFin an, dass ein Handwerksbetrieb, der Anzahlungen auf Dienstleistungen erhalten hatte, diese zurückzahlen musste, weil die Rückzahlung „unbedingt“ geschuldet war. Die Folge: Der Betrieb war gezwungen, seine Aufträge zu stornieren und verlor wertvolle Geschäftsbeziehungen. Hier zeigt sich, dass die sture Anwendung der Erlaubnispflicht keine Rücksicht auf die unternehmerische Praxis nimmt.
6. Vorschläge zur Reform: Praxisgerechte Anwendung und Verhältnismäßigkeit
Die BaFin sollte ihre Verwaltungspraxis überdenken und stärker auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Risiken und Gegebenheiten der betroffenen Unternehmen eingehen. Konkrete Vorschläge wären:
- Anhebung der Schwellenwerte: Eine Anhebung der Einlagensumme auf mindestens 50.000 Euro würde viele KMUs aus dem Erlaubnisvorbehalt herausnehmen, ohne das Schutzbedürfnis von Kleinanlegern zu gefährden.
- Pragmatische Auslegung der Rückzahlungsverpflichtung: Statt jeder formalen Rückzahlungsverpflichtung eine Banklizenzpflicht zu unterstellen, sollte geprüft werden, ob tatsächlich ein erhöhtes Insolvenzrisiko oder eine Verbraucherbenachteiligung vorliegt.
- Schaffung eines vereinfachten Erlaubnisverfahrens für KMUs: Ein „light touch“-Ansatz für kleine Unternehmen, ähnlich wie im Bereich der Gewerbeaufsicht, könnte viele negative Auswirkungen vermeiden, ohne den Verbraucherschutz aufzugeben.
7. Fazit
Die aktuelle Regulierungspraxis der BaFin zum Einlagengeschäft ist weder praxisgerecht noch sinnvoll. Sie führt zu massiver Unsicherheit bei Unternehmen, behindert die Unternehmensfinanzierung und schafft eine „Regulierungsfalle“, in die KMUs ohne eigenes Verschulden geraten können. Der Verbraucherschutz wird durch diese strikte Regelungspraxis nicht verbessert – im Gegenteil, die Anleger werden oft durch die erzwungene Rückabwicklung von Investments geschädigt. Es ist höchste Zeit, die Regeln auf ein sinnvolles Maß zu reduzieren und den wirtschaftlichen Kontext stärker zu berücksichtigen.
Quellenverzeichnis:
- Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts.
- Bundesgerichtshof, Urteil VI ZR 56/12 („Winzergeld“).
- Landgericht Zwickau, Entscheidung zur Global Financial Invest AG.
- BaFin-Verfügung zur Rückabwicklung im Fall Emanuel Miftar.
- Fachaufsätze und Kommentare von Kapitalmarktrechtlern.